Therapie gegen ein schleichendes Gift (22. Mai 2025)

Neue Dauerausstellung „Antisemitismus als roter Faden“ in Würzburg eröffnet

Eröffneten die neue Dauerausstellung (von links): Dr. Riccardo Altieri (Leiter des Johanna-Stahl-Zentrums), Dr. Dr. Josef Schuster (Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken), Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg (Stadt Würzburg) und der unterfränkische Bezirkstagspräsident Stefan Funk. (Foto: Markus Mauritz)

Würzburg. (mm) Der Antisemitismus zieht sich wie ein „roter Faden“ durch die Geschichte des jüdischen Lebens. Das ist die Kernaussage der neuen Dauerausstellung im Würzburger Johanna-Stahl-Zentrum, die jetzt (22. Mai) mit einem feierlichen Festakt eröffnet wurde.

Die Aktualität dieses Themas mache nicht zuletzt der rasante Anstieg politisch motivierter Straftaten deutlich, so der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, Dr. Dr. Josef Schuster, in seinem Grußwort. Laut einer wenige Tage zuvor veröffentlichten Statistik gebe es dabei in allen Bereichen Zuwächse – sowohl beim Antisemitismus als auch bei der Fremdenfeindlichkeit. Schuster sah in diesem Zusammenhang eine „sehr ungute Allianz“ an den linken und rechten politischen Rändern: „Beim Antisemitismus stoßen alle ins gleiche Horn!“

Das „schleichende Gift des Antisemitismus“ sei mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so Schuster weiter, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, sondern als weltweites Phänomen, wie ganz aktuell das Attentat auf die beiden Botschaftsmitarbeiter belege, das sich wenige Stunden zuvor in der US-Hauptstadt Washington ereignet hatte.

Umso wichtiger seien Präsentationen wie die neue Dauerausstellung, betonte Bezirkstagspräsident Stefan Funk. Schon wieder würden in deutschen Städten antisemitische Parolen gegrölt und Hass-Reden gehalten. „Abgründe tun sich auf“, sagte Funk mit Blick auf rechtsradikale Umtriebe. Und mit jedem Schritt weiter drohe der Absturz in die Unmenschlichkeit. Die neue Dauerausstellung führe den Besuchern vor Augen, wozu Menschen fähig sind.

Oft genug tarne sich der heutige Antisemitismus als Kritik am Staat Israel, sagte Funk. Dies zeige sich gerade seit dem Überfall der radikal-islamischen Hamas-Terroristen auf Israel mit mehr als 1.200 toten unschuldigen Menschen am 7. Oktober 2023. „Wir sind gewarnt: Wir wissen, was vor uns war, und wir wissen, wo wir nie wieder hinwollen!“ Es komme darauf an, eine klare Position zu beziehen, wenn der Antisemitismus seine hässliche Fratze zeige.

Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg lobte das Gemeindezentrum Shalom Europa mit dem Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken, das die Stadt Würzburg und der Bezirk Unterfranken gemeinsam tragen, als „Symbol der Wiederbelebung jüdischen Lebens nach der Shoa“. Dennoch sei kein Ende des Antisemitismus in Sicht. „Dieser Realität müssen wir uns stellen!“, sagte sie. Das Johanna-Stahl-Zentrum sei ein Ort des Lernens, der Forschung, der Begegnung und des Dialogs. Gerade bei der Jugendarbeit komme es darauf, den Antisemitismus möglichst schon im Keim zu ersticken. Sie hoffe, dass die neue Dauerausstellung zu einem Klima des Respekts und der Toleranz beitrage.

Jüdisches Leben sei sowohl geprägt von Phasen der Verfolgung und Vertreibung als auch von Zeiten des Fortschritts und des friedlichen Miteinanders, sagte Dr. Riccardo Altieri, der Leiter des Johanna-Stahl-Zentrums, in seiner Einführung in die Ausstellung. Aber die jüngsten antisemitischen Übergriffe, insbesondere im Gefolge des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 habe eine neue Betrachtungsweise ausgelöst, wie die jüdische Geschichte in Unterfranken darzustellen sei. „Wir müssen uns fragen, was wir falsch gemacht haben, wenn Antisemitismus trotz unserer Aufklärungsarbeit wieder hoffähig wird,“ so Altieri. Daher müsse man dieses unangenehme Thema wieder in den Mittelpunkt stellen.

Zwar habe es einen israelbezogenen Antisemitismus auch schon vor dem von Hamas-Terroristen angerichteten Blutbad gegeben, aber mit einem Mal trügen große Teile der Welt einen vergessen geglaubten Antisemitismus zur Schau, der extremer nicht hätte sein können, so Altieri. Dies sei der Grund, die Dauerausstellung entlang dieses roten Fadens auszurichten.

Besucherinnen und Besucher könnten sich der Präsentation im „Schmetterlingsprinzip“ nähern, soll heißen: sich beliebige Exponate näher anzusehen, oder aber systematisch dem Weg durch die Ausstellung folgen. Zudem stünden Medienstationen bereit, um weitere Infos zu erhalten. Zu der Ausstellung sei darüber hinaus ein umfangreiches Begleitheft erschienen. Und schließlich könnten bei Interesse auch Führungen gebucht werden, „um den roten Faden aufzunehmen und die Zusammenhänge aufzuschlüsseln“. Dabei dachte Altieri insbesondere an Schulklassen oder deren Lehrerinnen und Lehrer.

Die Schau zeige eine Fülle von Fotos, Dokumenten und anderen Objekten, die von Menschen erzählten, die in Unterfranken gelebt und ihren Anteil an der unterfränkischen Geschichte gehabt hätten. So zum Beispiel ein vom jahrelangen Gebrauch zerkratzter Zinnteller. Nachdem dessen Provenienz lange Zeit rätselhaft blieb, konnte schließlich dessen ins ausgehende 18. Jahrhundert zurückgehende Geschichte geklärt werden. Er dürfte wohl ursprünglich aus Westpreußen stammen und wurde immer wieder weiter verschenkt und vererbt und kam schließlich ins Eigentum eines Würzburger Gymnasiallehrers und dann als Schenkung ins Johanna-Stahl-Zentrum. Eine aufregende Odyssee hat auch ein silbernes Besteck hinter sich, das die kleine Tochter einer jüdischen Familie im Gepäck hatte, der sich 1939 noch rechtzeitig die Chance bot, mit einem Kindertransport nach Großbritannien zu gelangen.

Ein erschütterndes Schicksal lässt sich aus den Briefen eines Theodor Stern herauslesen, die ebenfalls in der Dauerausstellung gezeigt werden. Der Bad Neustädter war seit einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg querschnittsgelähmt und hatte als Behinderter keine Chance zu emigrieren. Er musste in Nazi-Deutschland zurückbleiben. Seine Briefe und Postkarten seien „durchzogen von Angst und Panik“, wie Altieri sagte. Schließlich wurde der einstige Frontsoldat ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort ermordet.

Diese Alltagsgegenstände seien auf den ersten Blick harmlos. Aber man müsse sie vor dem Hintergrund der damals heraufdämmernden Katastrophe sehen. Das mache diese Exponate zu erschütternden Zeugnissen der Shoa.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Rachel Bloch (Querflöte) und Waka Yamada (Piano), beides Studentinnen von der Würzburger Hochschule für Musik.

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