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„Wenn die Seele streikt“ (10. Oktober 2016)


Symposium des Bezirk Unterfranken zum Thema „psychische Erkrankung und Arbeit“


Beschäftigten sich mit dem Problem psychischer Erkrankungen und deren Zusammenhängen mit der Arbeitswelt (von links): Diplom-Psychologe Herwig Praxl (Schloss Werneck), Prof. Dominikus Bönsch (BKH Lohr), Prof. Hans-Peter Volz (Schloss Werneck), Dr. Harald Berger (DRV Nordbayern) Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel, Peter Pratsch (Lebenshilfe Schweinfurt), Psychologin Tina Gast (BKH Lohr), Wolfgang Wirth (Arbeitsagentur Schweinfurt) und Diplom-Sozialpädagoge Paul Strobel (Schloss Werneck). (Foto: Mauritz)
 

Werneck/Würzburg. (mm) „Für ein gebrochenes Bein hat jeder Verständnis. Und für einen Kollegen, der wegen einer Grippe zu Hause bleibt, auch. Aber wie ist das bei psychisch Kranken?“ Mit dieser rhetorischen Frage eröffnete Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel am Montag (10. Oktober) das diesjährige Psychiatrie-Symposium des Bezirk Unterfranken, das sich im Gudden-Saal auf dem Gelände der beiden Bezirksklinken in Schloss Werneck unter der Überschrift „Wenn die Seele streikt“ mit „psychischer Erkrankung und Arbeit“ beschäftigte. Moderiert wurde die Tagung von Herwig Praxl, als Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut am Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck, mit Fragen der Seele und ihrer Krankheiten bestens betraut.

Arbeit sei mehr als nur bloßer Broterwerb, Arbeit bedeute auch Selbstverwirklichung, so Dotzel weiter. Gerade für psychisch kranke Menschen könne daher der Wiedereinstieg ins Berufsleben nach einer erfolgreichen Therapie sehr vorteilhaft sein. „Arbeit schafft einen stabilen Rhythmus und gibt unserem Alltag eine feste Struktur. Arbeit stärkt das Selbstwertgefühl und fördert soziale Bindungen und gesellschaftliche Integration. So gesehen, kann Arbeit ein wichtiger Pfeiler für die Genesung nach einer schweren Krankheit sein“, sagte der Bezirkstagspräsident. Zugleich wies er darauf hin, dass Arbeit andererseits oft mit Stress und nervlicher Belastung verbunden sei. „Wichtig erscheint es mir unter diesem Gesichtspunkt, das individuelle Leistungsvermögen der einzelnen Patienten zu berücksichtigen, deren Fähigkeiten im Auge zu behalten, deren Kapazitäten richtig einzuschätzen“, betonte Dotzel.

Mit reichlich viel statistischem Zahlenmaterial begründete Prof. Hans-Peter Volz, der Ärztliche Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck die Bedeutung des Tagungs-Themas. Nach den Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems – sprich: Rückenschmerzen – und den Atemwegserkrankungen – in der Regel also grippale Infekte – seien psychische Erkrankungen die dritthäufigste Ursache für Fehltage am Arbeitsplatz. Während aber die Ausfallzeiten wegen somatischer Gesundheitsprobleme seit Jahren in etwa gleichblieben, nehme deren Zahl im psychiatrischen Bereich dramatisch zu. Insbesondere Depressionen, zu deren Symptomen Antriebslosigkeit, verminderte Gedächtnisleistung und mangelnde Konzentrationsfähigkeit zählten, machten sich in der Arbeitswelt negativ bemerkbar, betonte der Wernecker Klinik-Chef.

Wolfgang Wirth, Reha-Berater der Abteilung Wiedereingliederung bei der Arbeitsagentur Schweinfurt, konnte diese Entwicklungen aus seiner rund zwanzigjährigen Praxis bestätigen. In seinem Referat erläuterte er die Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten bei der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischer Erkrankung. Wie er immer wieder feststellen könne, wollten die wenigsten seiner Klienten vorzeitig in Rente gehen, sagte er. „Die meisten wollten vielmehr wieder arbeiten!“ Unter diesem Gesichtspunkt „muss man auf dem Arbeitsmarkt sehen, was Sinn macht? Wo kommen die Leute unter?“

Dass eine Erwerbsminderungsrente nicht unbedingt die Lösung aller Probleme sei, machte auch Dr. Harald Berger, Leitender Medizinaldirektor bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern, deutlich. In den meisten Fällen führe dieser Weg in eine Dauerrente, und wie eine Untersuchung gezeigt habe, seien die meisten der Betroffenen mit ihrer Lebenslage auch dann nicht zufriedener als sie es vorher gewesen waren.

Zu dieser Einschätzung kam auch Prof. Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Lohr am Main. Im Gegenteil: Arbeitstätigkeiten hätten vielmehr deutlich positive Effekte auf die Patienten. Daher müsse man in der Psychiatrie neue Strukturen schaffen. Bönsch: „Wir müssen die Patienten früher auffangen und das Arbeitsumfeld zu einem Thema machen.“

Der Frage, wie vor diesem Hintergrund eine psychiatrische Klinik unterstützend tätig werden könne, ging Tina Gast, Psychologin am BKH Lohr am Main, in ihrem Referat nach. Nach ihrer Einschätzung seien für weniger als zwanzig Prozent der befragten Patienten finanzielle Gründe der ausschlaggebende Aspekt zu arbeiten. Arbeit verschaffe vielmehr positive Gefühle und sei insofern förderlich für die Gesundheit. Dies habe eine wissenschaftliche Untersuchung belegt, laut der Arbeitslose öfter krank seien, während sich bei Berufstätigen Krankheitssymptome zurückentwickelten. Die berufliche Orientierung müsse allerdings eine realistische Perspektive bieten, so Tina Gast in ihrem Vortrag.

Ein konkretes Beispiel für Zuverdienst-Möglichkeiten seelisch Erkrankter ist etwa das Café und Bistro „Balthasar“, das der Verein „Aufwind e.V.“ in Schloss Werneck betreibt und das psychisch erkrankten Menschen die Möglichkeit bietet, dauerhaft mitzuarbeiten oder sich auf den beruflichen Wiedereinstieg oder auf eine berufliche Neuorientierung vorzubereiten. Diplom-Sozialpädagoge Paul Strobel vom Psychiatrischen Krankenhaus Schloss Werneck stellte das Projekt vor und erläuterte die rechtlichen und organisatorischen Aspekte derartiger Einrichtungen. Ein ähnliches Projekt stellte Peter Pratsch von der Lebenshilfe Schweinfurt vor. Unter der Bezeichnung „Mensch inklusiv“ würden als Alternative zur klassischen Werkstatt auch für psychisch behinderte Menschen so genannte sozialraumorientierte Arbeitsplätze vermittelt.

 

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