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„Europa steht vor einer Schicksalswahl“ (1. April 2019)

Prof. Ménudier sprach beim Bezirk Unterfranken über Frankreich, Deutschland und die EU

Prof. Henri Ménudier (rechts) sprach auf Einladung des Partnerschaftsreferats beim Bezirk Unterfranken. Das Bild zeigt ihn zusammen mit (von links) Bezirksrat und Vorsitzenden des Partnerschaftskomitees Werner Elsässer sowie Cassandre Tiphaine, Alice Heller und Annica Lamm – alle drei vom Partnerschaftsreferat. (Foto: Mauritz)

Würzburg. (mm) Europa steht vor einer Schicksalswahl. Daran ließ Prof. Henri Ménudier bei seinem Vortrag am Montag (1. April) im Sitzungssaal der Bezirksverwaltung keinen Zweifel. Europagegner und Europaskeptiker könnten beim Urnengang zum Europaparlament am 26. Mai so stark werden, dass die bisherigen Errungenschaften der europäischen Entwicklung in Gefahr gerieten, fürchtet der renommierte Wissenschaftler, der an der Pariser Sorbonne Politologie lehrt. Dies sei eigentlich eine paradoxe Situation, weil die Europäische Union eine Erfolgsgeschichte darstelle, zu der es weltweit nichts Vergleichbares gebe.

Den Beginn der derzeitigen Krise datierte Ménudier auf das Jahr 2005 zurück, als zunächst in Frankreich und dann in den Niederlanden die Wähler eine gemeinsame europäische Verfassung ablehnten. Der 2007 vereinbarte Vertrag von Lissabon habe diese Niederlage nur unzulänglich wettgemacht. Zudem sei nach der Lehman-Pleite im September 2008 die Welt in eine beispiellose Wirtschaftskrise geraten, unter der insbesondere die südeuropäischen EU-Mitglieder litten. Und schließlich stimmten die britischen Wähler bei einer Volksbefragung im Juni 2016 für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Das mögliche Kalkül der Briten, mit diesem Schritt die Europäische Union zu sprengen, sei allerdings nicht aufgegangen: „Die anderen 27 Staaten stehen nach wie vor eng zusammen“, so der Wissenschaftler, der als ein überzeugter Anhänger der europäischen Integration gilt.

Nichtsdestotrotz gewinnen nach Einschätzung Ménudiers überall jene Kräfte Zulauf, die der Auffassung sind, Nationalstaaten könnten Probleme besser lösen als supranationale Organisationen. Dazu zählte Ménudier etwa die französische Oppositionspolitikerin Marine Le Pen, „die alles auf den Kopf stellen will“, aber auch Politiker wie US-Präsident Donald Trump, der dabei sei, die Grundlagen der Diplomatie und der Bündnisse zu zerstören. Was mit Blick auf diese Populisten auf dem Spiel steht, machte Ménudier bei einem kurzen historischen Exkurs deutlich. In den 75 Jahren zwischen 1870 und 1945 hätten Franzosen und Deutsche drei Kriege gegeneinander geführt. „Jede junge Generation musste damals wenigstens einmal in ihrem Leben in den Krieg ziehen!“ In den zurückliegenden knapp 75 Jahren herrsche Friede.

Als Gründe für diese Entspannung nannte Ménudier den Willen der Menschen auf beiden Seiten des Rheins zur Versöhnung, die Begeisterung der Jugend für diese Annäherung, die geostrategischen Überlegungen im beginnenden Kalten Krieg, zu denen nicht zuletzt die Gründung der NATO im Jahre 1949 gehörte, sowie die Initiativen einiger Staatsmänner, wie zum Beispiel Robert Schuman oder Konrad Adenauer, die zunächst zur Gründung der Montanunion und schließlich zur Entwicklung hin zur Europäischen Union führten.

Die Erfolgsbilanz dieser europäischen Integration listete Ménudier anhand einiger Beispiele auf: Abbau der Zölle, gemeinsame Außengrenzen, gemeinsame Währung. Dass die Zahl der Mitglieder im europäischen Club von den ursprünglich sechs Gründerstaaten auf schließlich 28 gestiegen ist, wertete der Politikwissenschaftler als deutlichen Beleg für die Attraktivität der EU. Enttäuscht zeigte sich der Politik-Experte allerdings speziell von den östlichen EU-Mitgliedern, die weder für die Brüsseler Finanzhilfen dankbar seien, noch bei der Aufnahme von Flüchtlingen die nötige Solidarität zeigten. Ménudier sah zudem gewaltigen Druck von außen auf Europa einwirken: Russland führe Krieg in Georgien und der Ukraine, China versuche die EU zu spalten, die Probleme in Nahost seinen ungeklärt, und nun sei ein Bürgerkrieg in Algerien in denkbare Nähe gerückt – mit dann unvermeidbaren Flüchtlingsströmen.

Mit Blick auf die deutsch-französische Partnerschaft sprach Ménudier von einem Glücksfall, dass mit Emmanuel Macron ein europafreundlicher Präsident im Élysée-Palast residiere. Ménudier erinnerte in diesem Zusammenhang an die Rede, die Macron unter dem Titel „Initiative für Europa“ im September 2017 in der Pariser Sorbonne gehalten habe, und an den eindringlichen Appell „für einen Neubeginn in Europa“, mit dem sich Macron vor wenigen Wochen zeitgleich in sämtlichen führenden europäischen Tageszeitungen an alle Europäer wandte. „Aber Macron erhält aus Berlin keine Antwort“, stellte Ménudier enttäuscht fest.

Eröffnet hatte die Veranstaltung im großen Sitzungssaal des Bezirkstags-Gebäudes der Vorsitzende des Partnerschaftskomitees, Bezirksrat Werner Elsässer. In seinem Grußwort betonte er: „Wir Unterfranken sind sehr frankophil.“ Das bewiesen nicht zuletzt die zahlreichen Aktivitäten des Partnerschaftsreferats, das beim Bezirk für die Partnerschaft mit dem Département Calvados zuständig sei. Das Partnerschaftsreferat habe auch die Veranstaltung mit Prof. Henri Ménudier organisiert. Mit Blick auf die Wahl zum Europaparlament appellierte er an die Anwesenden, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Jeder einzelne trägt mit seinem Verhalten, mit seiner Stimme zur Zukunft Europas bei. Jede Stimme zählt!“

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